Kultur oder Lärm? Der Diskurs über Musikveranstaltungen und deren Schallemissionen
- Thore Debor
Den Leser:innen wird eine praxisorientierte Übersicht zum Einstieg in das komplexe Themenfeld geboten, um künftig mit Planer:innen, Behörden und Politker:innen besser diskutieren zu können.
Ein Beitrag von Thore Debor (Vorstand LiveMusikKommission, kurz: LiveKomm, Geschäftsführung Clubkombinat Hamburg)
Musik ist für viele Menschen, die Live-Konzerte oder Tanznächte aufsuchen, um dabei Künstlerinnen und Künstler zu erleben in der Regel kein Lärm, sondern ein Stück Lebensqualität. Menschen, die in der Nähe dieser Live-Bühnen leben, können sich jedoch durch die daraus entstehenden Schallemissionen gestört fühlen. Mit einer konsequenten Beschwerdeführung kann ein Veranstaltungsbetrieb erheblich eingeschränkt oder sogar zum Erliegen gebracht werden.
Die Regularien für Schallemissionen der Livekultur spielen eine zentrale Rolle beim Kulturraumschutz. Für bestehende Musikclubs wird es durch innerstädtische Wohnverdichtung immer konfliktreicher und neuen Kulturstätten wird eine Neuansiedlung nicht erleichtert - insbesondere, weil der Hochbetrieb von Musikclubs in der Regel in die späten Nachtstunden fällt, in denen die Mehrheitsgesellschaft erholsamen Schlaf sucht.
Die Gesetzgebung versucht, einen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der Anwohnenden und deren Umwelt einerseits und einer möglichst lebendigen und vielfältigen Live-Musikszene andererseits zu schaffen. Eine zentrale Rolle bei der Klärung rechtlicher Konflikte und der Regulierung von Lärmquellen nimmt in Deutschland die TA Lärm ein.
EINFÜHRUNG: WAS IST DIE TA LÄRM?
Die TA Lärm (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm) ist eine Verwaltungsvorschrift des deutschen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), die darauf abzielt, den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Lärm zu gewährleisten. Sie legt die Anforderungen und Richtlinien für den Umgang mit Lärmemissionen fest und definiert Grenzwerte, die bei der Planung und Nutzung von Bauvorhaben, insbesondere bei industriellen, gewerblichen oder infrastrukturellen Projekten, beachtet werden müssen.
Die TA Lärm ist keine gesetzliche Regelung im engeren Sinne, sondern eine technische Anleitung, die zur konkreten Anwendung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) dient. Sie gibt genaue Vorgaben dazu, wie Lärmemissionen gemessen und bewertet werden sollen, um gesundheitliche Gefährdungen oder unzumutbare Belästigungen der Anwohnenden zu vermeiden. Die TA Lärm unterscheidet zwischen verschiedenen Gebäudetypen und Nutzungsarten (z. B. Wohngebieten, Mischgebieten, Gewerbegebieten) und legt Lärmgrenzwerte in der Regel für den Tag (6:00 bis 22:00 Uhr) und der Nacht (22:00 bis 6:00 Uhr) fest.
Wenn ein Musikclub eine Lizenz oder Genehmigung für Veranstaltungen beantragt, wird häufig die TA Lärm zur Bewertung des Lärms herangezogen. Eine Einhaltung der TA Lärm erleichtert die Genehmigung von Veranstaltungen. In vielen Fällen sind Betreiber:innen von Musikclubs gesetzlich verpflichtet, die Lärmminderungsmaßnahmen der TA Lärm zu beachten, um die Lärmgrenzen in den jeweiligen Gebieten nicht zu überschreiten.
HAUPTKONFLIKTE BEI MUSIKVERANSTALTUNGEN
Eine Erhebung der LiveKomm im Frühjahr 2022 zeigte auf, dass die Konflikte rund um Schallbeschwerden von Live-Veranstaltungen vielfältig sind und sich letztlich in zwei Hauptkategorien von Schallkonflikten einteilen lassen:
A.) Musikalische Schallabstrahlungen: Diese entstehen beispielsweise durch unzureichend gedämmte Gebäude.
B.) Verhaltenslärm: Dieser wird durch Besuchendenverkehr, etwa in Außenbereichen oder im öffentlichen Raum verursacht.
Ein konkretes Praxis-Beispiel für Konfliktlagen ist die ungleiche Behandlung von Straßenlärm und Schallauswirkungen, die durch Publikumsverkehre ausgelöst werden. Zweitere sind gemäß der TA Lärm der Anlage (dem Club) direkt zuzuordnen und müssen die geltenden Werte einhalten, während Straßenlärm als eine "unspezifische" Lärmquelle privilegiert hingenommen wird. Häufig liegt der Umgebungslärm (insbesondere der Straßenlärm nachts) jedoch schon über den erlaubten Grenzwerten. Eigentlich müsste bei einer Gesamtlärmbetrachtung der existierende Umgebungslärm deshalb psychoakustisch als eine Art „Noisefloor“ (Grundrauschen) behandelt werden. Dieses Problem verstehen im Prinzip auch die Immissionsexpert:innen in den Umweltämtern und lassen sich bei Einzelevents mit anerkannt hohem öffentlichen Interesse auf ein entsprechendes adaptiertes Messvorgehen in der Regel ein. Schließlich entspricht es dem eigentlichen Anliegen der TA-Lärm, die tatsächliche Störwirkung des Lärmereignisses zu bemessen. Allerdings wird eine solche Regelung, die im Prinzip für die Mehrheit von Kulturveranstaltungen Anwendung finden müsste, bei weitem nicht von allen Ordnungsbehörden in der Praxis umgesetzt.
Die Hoffnungen der Clubszene auf Besserungen beim Thema Schallemissionen waren in Herbst 2021 aufgrund der Verständigungen der Ampel-Regierung relativ hoch. Erstmals in der Geschichte sah ein Koalitionsvertrag auf Bundesebene Anpassungsbedarfe für die Musikclubs und eine Modernisierung der TA Lärm vor.
POLITISCHE INITIATIVEN UND DER ENTWURF EINER KULTURSCHALLVERORDNUNG
Die LiveKomm entwarf zur Konkretisierung der Debatte um Schallregularien eine Kulturschallverordnung (V3), die im September 2023 veröffentlicht wurde, um den Diskurs um die Behandlung von Schallimissionen neu anzuregen.
Das Bundesumweltministerium brachte im Sommer 2024 den Referentenentwurf „Entwurf einer Zweiten Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ auf den Weg. Jedoch sah dieser Aufschlag nur eine Experimentierklausel vor, die die LiveKomm als kaum wirksam einstufte. Nach der Verbändeanhörung blieb eine Überarbeitung in der weiteren Behördenabstimmung zur Aufstellung eines Kabinettsentwurf jedoch bislang stecken. Offensichtlich ist die Gesetzesvorlage zwischen verschiedenen Ministerien und Verbänden weiterhin umstritten.
Das Bundesumweltamt (UBA) beaufragte den ALD Lärm sich mit dem Thema Musikschall und Freizeitlärm intensiver zu befassen. Ein Ergebnis ist eine Aufzeichnung eines Panel-Gesprächs im Dezember 2024
Der Bauausschuss im Deutschen Bundestag befasst sich im Oktober 2024 mit dem Vorhaben zur TA Lärm. Die verschiedenen Sachverständigen formulierten dabei einige Anpassungsbedarfe. Da für die Verabschiedung von Schallregularien auf Bundesebene letzlich sind die Zuständigkeit bei den Bundesländern im Bundesrat liegt, blieb diese Befassung vorerst folgenlos.
Rückenwind kam zuletzt von kommunaler Ebene: Der Kulturausschuss der Stadt Köln beschloss am 03. Dezember 2024 den Antrag mit dem Titel "Musikclubs und Livemusikspielstätten sind Kulturorte", der Forderungen in Sachen BauNVO und TA Lärm an die Bundesebene beinhaltet.
WIE GEHT ES WEITER? HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN DER LIVEKOMM
Die LiveKomm artikuliert ihrerseits die Anliegen der (Club)Kultur gegenüber Politik und bundesweiten Institutionen des Immissionsschutzes. Dabei treten häufig diametral entgegengesetzte Sichtweisen aufeinander und erstmals werden dabei konkrete Bedarfe der Kultur transportiert. Ein Blog-Artikel mit dem Titel „Wie weiter mit den Clubgeräuschen?“ skizziert konkrete Ansätze für künftige Handlungsfelder.
Zur Fortführung der Diskussion und der Erarbeitung von anwendbaren Methoden wäre aus Sicht der LiveKomm eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Umweltministerkonferenz (UMK), Bauministerkonferenz (BMK), Kulturministerkonferenz (KMK), Wirtschaftskonferenz (WMK) und Teilnehmer:Innen aus den Fachverbänden der Musikspielstätten in der kommenden Legislatur zielführend.
Ein möglicher Ansatz könnten bundesweite Präzisierungen der TA Lärm für kulturbezogene Ausführungsvorschriften sein, die sich an Ordnungsämter, Veranstalter:innen und schallmessendes Fachpersonal richten. Diese Präzisierungen könnten die Lage für alle Beteiligten verbessern und Ermessensspielräume klarer definieren. Beispielsweise könnten z.B. effektive Schallschutzmaßnahmen berücksichtigt werden, die nachweislich die Impulshaftigkeit und Informationshaltigkeit des Schalls verringern. Dadurch könnte der bisher vorgesehene Dezibel-Zuschlag entfallen bzw. flexibel gestaltet werden.
Ein weiteres Handlungsfeld wäre die Einführung flexibler Regelungen für die Nachtzeit an Freitagen und Samstagen in Innenstadtquartieren, die stark durch kulturelle Nutzungen geprägt sind. Hierbei könnte die Nachtzeit grundsätzlich um zwei Stunden - von 22 Uhr auf 24 Uhr – hinausgeschoben werden. Bereits jetzt sieht die TA Lärm in solchen Fällen Handlungsspielräume vor (Verschiebung der Nachtzeit, wenn örtliche Gegebenheiten vorliegen), die bisher jedoch eher selten genutzt werden.
FAZIT
Zwar sind trotz einiger Bemühungen noch keinerlei konkrete Anpassungen der TA Lärm in Richtung der Kultur erzielt, jedoch ist der politische Diskurs darum angeschoben und die Kontakte zu einigen relevanten Akteuren sind hergestellt. Es wird vermutlich noch weitere Anstrengungen benötigen, um letztlich mit den kulturellen Argumenten eine Mehrheit dieser Positionen in den sechszehn Bundesländern zu erzielen. Für eine Organisation, wie die LiveKomm, die dabei großteils auf ehrenamtlicher Basis tätig ist, ist dies eine erorme Herausforderung, die mit Kompetenz und Leidenschaft verfolgt wird.
Wichtige Etappen auf diesem Weg werden weiterhin auf www.clubsareculture.de dokumentiert.